Als Service bietet LA DI Evelyn Achhorner den

BERICHT DER UNABHÄNGIGEN EXPERTENKOMMISSION
MANAGEMENT COVID-19-PANDEMIE TIROL

hier zum nachlesen an. Hier finden Sie den ganzen Bericht.

Zusammenfassung

Die Unabhängige Expertenkommission hatte die Aufgabe, Fakten zum Handeln des Landes Tirol und der Bezirksverwaltungsbehörden in Zusammenhang mit der Covid- 19-Pandemie zu erheben, diese zu analysieren und in einer Ex-ante-Betrachtung ihre Zweckmäßigkeit und Angemessenheit zu bewerten. Die Prüfung durch die Kommission bezog sich ausschließlich auf die Qualität des Managements der Tiroler Behörden und der jeweiligen Entscheidungsträger in der Krisensituation. Über allfälliges Verschulden in Zusammenhang mit der Bewältigung der Pandemie wird im Bericht nicht abgesprochen. Auch wird das Verhalten anderer Institutionen oder Personen nur im Zusammenhang mit Reflexwirkungen auf das Land dargestellt. Soweit an der Krisenbewältigung Kritik geübt wird oder Fehler aufgezeigt werden, geschieht dies vor allem, um eine Richtschnur für zukünftiges Handeln zu erarbeiten. Die vorzunehmende Prüfung des Managements kann nicht geschehen, ohne den überaus kurzen Weg der Pandemie und die anfängliche Unsicherheit in deren Bewertung durch die Medizin zu berücksichtigen. Am 31.12.2019 wurde die WHO über Fälle von Lungenentzündungen mit unbekannter Ursache in Wuhan, China, informiert. Am 07.01. identifizierten die chinesischen Behörden einen neuartigen Coronavirus, der in der Folge als “Covid-19-Virus” bezeichnet wurde. Die Erkenntnis, dass der Virus von Mensch zu Mensch übertragen wird, ist am 20.01. bekannt geworden. Am 11.03. erklärte die WHO den Ausbruch einer Pandemie. Das war rund eine Woche nachdem die Bezirksverwaltungsbehörde in Landeck von den Infektionen isländischer Gäste erfahren hatte. Die bei infizierten Gästen aus Ischgl gefundenen Viren passten nach wissenschaftlicher Auswertung der Genom-Daten zum Mutationsprofil der Virenstämme von Fällen in einem französischen Skiresort, wohin Ende Jänner 2020 ein Gast aus Singapur, der Kontakt zu einem Chinesen aus Wuhan hatte, eingereist war.

Verantwortungsträger und Mitarbeiter der Behörden des Landes Tirol haben sowohl auf Ebene des Landes als auch auf Ebene der Bezirke, oft unter großem Zeitdruck, in der beispiellosen Krisensituation ein großes Arbeitspensum bewältigt. Es kam dabei in einem Bezirk zu folgenschweren Fehleinschätzungen. Sämtliche Entscheidungen der Verantwortlichen der zuständigen Bezirkshauptmannschaften und deren jeweilige zeitliche Abfolge erfolgten ebenso wie die Vorgangsweise des
Landeshauptmanns aus eigenem Entschluss und ohne Druckausübung von dritter Seite. Es lag ihnen jeweils die Annahme zu Grunde, gemäß der durch das Epidemiegesetz 1950 vorgegebenen angemessenen Vorgangsweise zu handeln. Die Verantwortlichen der Bezirkshauptmannschaft Landeck haben auf das Bekanntwerden der Infektionen der aus Ischgl zurückgekehrten isländischen Gäste durch breit angelegte Testungen und Ermittlung von Kontaktpersonen prompt reagiert. Dass sie die in der Zeit vom 05.03. bis 06.03. an sie gelangten Mitteilungen über Infektionen, auch unter Berücksichtigung des am 05.03. in Pettneu aufgetretenen Infektionsfalles, nicht sofort zum Anlass für Schließungen von Après-Ski-Lokalen und von Tourismusbetrieben nahmen, sondern vorerst mit Testungen und Tracing vorgingen, ist unter dem Gesichtspunkt der gebotenen Angemessenheit bis zum Bekanntwerden der positiven Testung eines Mitarbeiters des Après-Ski-Lokals „Kitzloch“ am 07.03. um 19:15 Uhr und dem Einlangen weiterer Informationen bis zum Nachmittag des 08.03. aus wirtschaftlicher und epidemiologischer Sicht als richtig einzuschätzen.

Die Verantwortlichen der Bezirkshauptmannschaft Landeck haben allerdings die Verdachtslage und die Testergebnisse betreffend Mitarbeiter und Gäste des Après-Ski-Lokals „Kitzloch“ falsch als abgrenzbares Ereignis eingeschätzt. Unter Berücksichtigung der naheliegenden Möglichkeit der Ansteckung von in Ischgl verbliebenen Gästen sowie der länderübergreifenden rasanten Ausbreitung des Virus und der Infektionslage in Norditalien wäre auch unter dem Gesichtspunkt der Angemessenheit am 08.03. jedenfalls mit Schließung des Après-Ski-Lokals „Kitzloch“ in Ischgl vorzugehen gewesen.

Dass die Schließung aller Après-Ski-Lokale in Ischgl nicht spätestens mit Montag, dem 09.03., erfolgte, ist ebenso als Fehleinschätzung des Infektionsverlaufs anzusehen, wie das Unterbleiben des Erlassens einer Verordnung zur Beendigung des Seilbahn- und Skibusbetriebes im Lauf des 09.03. Ebenso hätten spätestens im Laufe dieses Tages zielführende Maßnahmen getroffen werden müssen, um Menschenansammlungen in weiten Bereichen zu reduzieren und die Schließung von Gaststätten, die nicht der Grundversorgung dienen, zu verfügen. Gleichzeitig mit diesen Maßnahmen hätte eine gestaffelte Abreise der Gäste im Laufe der restlichen Woche unter Anordnung entsprechender Kontrollmaßnahmen geplant und durchgeführt werden müssen.

Die Ankündigung des Landeshauptmannes über die Beendigung der Skisaison in ganz Tirol für das Wochenende 14./15.03. in der Pressekonferenz am 13.03. war in Ansehung der außerhalb der Regionen Ischgl und St. Anton a. A. gelegenen Skigebiete richtig und angemessen. Die Ankündigung der Quarantäne über das Paznauntal und St. Anton a. A. durch den österreichischen Bundeskanzler erfolgte ohne dessen unmittelbare Zuständigkeit, überraschend und ohne Bedachtnahme auf die notwendige substantielle Vorbereitung. Die dadurch bewirkte unkontrollierte Abreise hat eine sinnvolle epidemiologische Kontrolle behindert.

Es war ein Kommunikationsfehler, dass die Frage der durch den Bundeskanzler angekündigten Quarantäne davor nicht rechtzeitig unter Einbeziehung der Bezirkshauptmannschaft Landeck abgeklärt wurde und niemand aus der Bundesregierung bzw. den dort eingerichteten Stäben oder von den Verantwortlichen des Landes Tirol den Bundeskanzler darauf hinwies, welche schwerwiegenden Konsequenzen die mediale Ankündigung einer „sofortigen“ Isolierung des Paznauntales und von St. Anton a. A. in der Praxis nach sich ziehen wird, sowie dass es dringend erforderlich ist, einen Hinweis auf die fortbestehende
Ausreisemöglichkeit für ausländische Gäste bis 15.03. zu machen.

Die Verantwortlichen der Bezirkshauptmannschaft Landeck hätten sofort nach Kenntnisnahme der Ankündigung des Bundeskanzlers – insbesondere gegenüber den Tourismusverbänden – klarstellen müssen, dass die Abreise der ausländischen
Gäste gestaffelt über das Wochenende erfolgen kann und muss. Keinesfalls hätte vorzeitig die Errichtung von Check-Points bekannt gegeben werden dürfen, weil dadurch die Menschen noch weiter verunsichert wurden. Auch ohne die Ankündigung des Bundeskanzlers hätten die Beamten der Bezirkshauptmannschaft Landeck organisatorische Maßnahmen zur Evakuierung betroffener Gebiete planen und Merkblätter über die Art der Heimreise und Formulare zur Aufnahme der Kontaktdaten der Heimreisenden vorbereiten und bereithalten müssen, um nach der spätestens mit 09.03. gegebenen Erkennbarkeit der Gefahr der Weiterverbreitung der ansteckenden Krankheit ein durch Verordnung festzulegendes kontrolliertes Abreisemanagement zu gewährleisten. Es wäre schon frühzeitig ein Plan für eine geordnete Abreise der Gäste zur Vermeidung einer Gefährdungslage iSd § 2 Abs. 1 Tiroler KatastrophenmanagementG zu erstellen und bei Bedarf einzusetzen gewesen. Die nach Ankündigung des Bundekanzlers von den Verantwortlichen der Bezirkshauptmannschaft Landeck erlassene Verordnung vom 13.03., GZ LA-KATCOVID-EPI/57/9-2020,war durch sinngemäße Auslegung der §§ 24 und 16 Epidemiegesetz 1950 gesetzlich gedeckt. Eine Erklärung für die verordnungswidrige Vorgangsweise, den von der Verordnung ebenfalls erfassten Ortsteil St. Christoph in der Praxis nicht in das Quarantänegebiet einzubeziehen, konnte die Unabhängige Expertenkommission nicht finden.

Der Landessanitätsdirektion kommt in einer das Gesundheitswesen des Landes so intensiv betreffenden Krisensituation wie einer Pandemie – insbesondere in der Fachaufsicht über die Amtsärzte – eine zentrale Rolle zu. Die Unabhängige Expertenkommission konnte zumindest in der Zeit bis 09.03. eine zielgerichtete Strategie der Pandemiebekämpfung nicht feststellen, vielmehr weisen die beiden Landesinformationen vom 05. und 08.03. Gegenteiliges aus. Das Land Tirol griff in der Krisensituation nicht erkennbar auf die Expertise der Abteilungen Tourismus, Gesundheitsrecht sowie Zivil-und Katastrophenschutz zurück. Damit wurde Vorbereitungsarbeit durch diese Abteilungen nicht veranlasst. Ressourcen wurden nicht genutzt und deren durchgehende Bündelung im Rahmen der Landeseinsatzleitung unterblieb. Der politisch auch für den Vollzug des Epidemiegesetzes 1950 verantwortliche Landesrat für Gesundheitspolitik und Gesundheitswesen gab in Form einer „Arbeitsteilung“ den Zuständigkeitsbereich Epidemiegesetz 1950 zur Gänze an den Landesamtsdirektor ab. Zu dieser Änderung der Geschäftsverteilung der Landesregierung war er ohne Verordnungsänderung nicht berechtigt. Damit wurde die politische Verantwortlichkeit ausgedünnt und der Landesamtsdirektor mit Verantwortung überfrachtet. Ein unmittelbarer Einfluss dieser Vorgangsweise auf die Geschehnisse kann nicht festgestellt werden. Obwohl die Beamten des im Wege der mittelbaren Bundesverwaltung zuständigen Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz die Covid-Entwicklung seit Dezember 2019 beobachteten, wurden die rechtlichen Grundlagen der in mittelbarer Bundesverwaltung zu ergreifenden gesundheitsschützenden Maßnahmen nicht oder nur unzulänglich vorbereitet. Der in Arbeit befindliche Pandemieplan wurde nicht veröffentlicht. Das Epidemiegesetz 1950 wurde weder – für die nachgeordneten Behörden erkennbar – auf seine Anwendbarkeit in Tourismusgebieten geprüft, noch wurden rechtzeitig Schritte eingeleitet, das Gesetz den Gegebenheiten der heutigen Mobilität anzupassen. Praktikable Auslegungsmöglichkeiten des Gesetzes wurden nicht wahrgenommen bzw. nicht an das Land und die Bezirksverwaltungsbehörden kommuniziert. Dadurch wurden die Bezirksverwaltungsbehörden in ihrer Entscheidungsfindung nicht unterstützt und das erforderliche rasche Eingreifen behindert.

Die Öffentlichkeitsarbeit des Landes in Form der beiden Landes-Informationen vom 5. und 08.03 war unwahr und daher schlecht. Dass sie auf die Arbeit des Landes und der Bezirksverwaltungsbehörden bei Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus unmittelbaren negativen Einfluss gehabt hätten, wurde bei den Befragungen durchgehend verneint. Tourismusbetriebe und Gäste haben die Ankündigung als behördliche Information ernst genommen.

Das Krisenmanagementsystem ist auf Stufe Land und Bezirk organisatorisch nicht ausreichend gut vorbereitet. Auf IT-Basis steht ein IT-gestützter Katastrophenschutzplan KSP+ zur Verfügung, der jedoch für den Katastrophenfall relevante Festlegungen – wie Führungsstrukturen, Alarmierungen, Verbindungsmittel und Raumbedürfnisse für die Führung samt Redundanzen – nicht enthält. Als Schwachstellen haben sich die teils fehlenden Detailpläne zur Organisation der Krisenstäbe, die Struktur der Landeseinsatzleitung (Krisenstab) und die Dokumentation der Ereignisse und Aktivitäten herausgestellt. Auf Gemeindeebene gibt es keinerlei Vorgaben und das Handeln wird sehr unterschiedlich durch die Initiative einzelner Personen bestimmt.

Anhaltspunkte für Managementfehler der Behörden des Landes betreffend die außerhalb von Ischgl und St. Anton a. A. liegenden Skigebiete wurden von der Unabhängigen Expertenkommission nicht gefunden.

13.10.2017